Alle sind eingeladen – wirklich?

Bei Jesus sind alle eingeladen! Ist das wirklich so? Zunächst wird von Jesus immer wieder erzählt, dass er sich als Jude zu seinem eigenen jüdischen Volk gesandt sieht. Doch schon beim Blick auf den Jüngerkreis fällt auf, wie divers diese Gruppe ist: vom einfachen Fischer über einen opportunistischen Zöllner, einem irenischen Brüderpaar, bis hin zu einem kämpferischen Zeloten sind da ganz unterschiedliche Charaktere dabei. Doch dann wendet sich Jesus immer mehr den Randgruppen des jüdischen Volkes zu und tritt gegen jüdische Gesetzesfanatiker, puristische Religionshüter und scheinheilige Glaubensautoritäten auf.

Jesus stellt die große Menschenliebe Gottes in den Mittelpunkt, die allen Menschen gilt, gerade denen, die krank, arm, schwach, ausgegrenzt, sündig oder anders sind. Schon hier werden die Grenzen von Rechtgläubigkeit aufgebrochen und Gottes bedingungslose Liebe und Zuwendung sichtbar. Glaube ist keine Voraussetzung mehr, sondern Glaube und Vertrauen entstehen erst in der bedingungslosen Zuwendung Jesu und in der Begegnung mit ihm.

Jesus lädt alle ein – so wie in dem Gleichnis vom großen Abendmahl. Der König dort schickte seine Diener an die Hecken und Zäune, an die Ränder und über die Grenzen, um Menschen einzuladen zu einer neuen Gemeinschaft im Reich Gottes. Es gibt keine Vorbedingungen, nur, dass man die Einladung annehmen und kommen muss. Diese neue Gemeinschaft ist tatsächlich bunt, vielfältig und divers. Und so haben auch wir heute den Auftrag, alle Menschen einzuladen und immer wieder – gerade, wenn wir in zufriedene Selbstgerechtigkeit und homogene Kuschelmentalität verfallen, an die Hecken und Zäune zu gehen, an die Ränder und über die Grenzen unserer Gemeinde.

Trotzdem bleibt die Frage: Wenn alle eingeladen sind, also wirklich alle: Was hält uns dann noch zusammen? Was verbindet uns in aller Vielfalt und Diversität? Denn Verschiedenheit und Vielfalt sind ja kein Wert an sich und keine Garantie, dass das dann gut und schön ist. Für manche ist Vielfalt sogar bedrohlich. Und Vielfalt fordert uns heraus einander zu tolerieren, zu ertragen. Dazu zwei Gedanken:

Wir sind verbunden in aller Vielfalt, weil wir alle Menschen sind.

Das klingt banal, aber in unserer heutigen Zeit, muss man es wieder sagen: Ja, alle sind Menschen. Es gibt keine Menschen 1. oder 2. Klasse.

Und: Jesus wusste um die Abgründe des Menschen, er wusste um die Schuld und Sünde, er hat die negativen Seiten des Menschen nicht verdrängt. Und doch hat Jesus uns gezeigt: gerade diesen Menschen gilt Gottes barmherzige Liebe, kein Mensch ist verloren, kein Mensch verliert diese Zusage der Gottesliebe als sein Geschöpft. Und das verbindet uns über alle Grenzen hinweg.

Wir sind verbunden in aller Vielfalt durch die Sehnsucht.

Jesus hat damals die Menschen eingeladen in diese neue Gemeinschaft des Reiches Gottes, weil er ihre Sehnsucht gespürt hat und diese Sehnsucht gestillt hat: uns verbindet die Sehnsucht nach einer friedlichen und gerechten Welt, die Sehnsucht nach geliebt werden und selber zu lieben, und die Sehnsucht nach Sinn und spiritueller Erfüllung. Diese Sehnsucht teilen alle Menschen. Wir sind alle auf dem Weg, diese Sehnsucht zu stillen, für uns selber und für diese Welt. Und das verbindet uns alle auch über alle konfessionellen und religiösen Grenzen hinweg. Und so bleibt es unser Auftrag: alle einzuladen zu dieser neuen Gemeinschaft Jesu, die aus Gottes großer Menschenliebe lebt und die Welt mitgestaltet.

Ihre Ulrike Lorentz